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Welche arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen müssen für Beschäftigte im OP-Bereich einer Klinik durchgeführt werden?

KomNet Dialog 43824

Stand: 28.09.2023

Kategorie: Gesundheitsschutz > Arbeitsmedizinische Vorsorge > Untersuchungspflichten

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Frage:

Im Rahmen des Gefährdungsbeurteilung im OP-Bereich einer Klinik kam die Frage auf, welche arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden müssen. 1. Im OP treten chirurgische Rauchgase auf, welche lt. einer Analyse [https://www.rauchabsaugung.eu/wp-content/uploads/2016/10/issa_standard-rauchgase.pdf] der issa (Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit) teilweise krebserzeugende Stoffe und Toluol beinhalten. Arbeitsplatzgrenzwerte werden i.d.R. eingehalten. 2. Außerdem werden Gewebeproben in Formaldehyd (4 %) eingelegt (Substitution ist nicht möglich). Die Exposition ist sehr kurz (vorgefülltes Gefäß öffnen; Probe einlegen; Gefäß schließen). Sehr selten muss in das Gefäß Formaldehyd gegossen werden, um die Probe vollständig zu bedecken. Der Vorgang geschieht unter einem Abzug. Ist unter diesen Gesichtspunkten eine arbeitsmedizinische Vorsorge ("Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen" und "Toluol") anzubieten? Die issa verweist in ihrer Analyse darauf, dass keine Fälle von Erkrankungen in Bezug auf chirurgische Rauchgase bekannt sind und eine darauf bezogene arbeitsmedizinische Vorsorge unsinnig wäre. Auch die Betriebsmedizin hält sie für nicht notwendig. Lt. ArbMedVV ist jedoch bei wiederholtem Kontakt zu krebserzeugenden Gefahrstoffen arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten. Ebenso wäre für Toluol als Bestandteil des Rauchgases die Vorsorge anzubieten, da der AGW eingehalten wird und somit keine Pflichtvorsorge notwendig ist. Greift die Ausnahme der AMR 11.1 hier? Gibt es einen anderen Grund auf die arbeitsmedizinische Vorsorge zu verzichten?

Antwort:

Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) geht davon aus, dass Tätigkeiten mit bestimmten krebserzeugenden Gefahrstoffen besonders gefährdend sind und deshalb grundsätzlich eine Pflichtvorsorge veranlasst bzw. eine Angebotsvorsorge angeboten werden muss. Allerdings können bei Tätigkeiten mit diesen Gefahrstoffen Arbeitsbedingungen vorliegen, bei denen das Ausmaß der Gefährdung, welches grundsätzlich zur Pflicht- bzw. Angebotsvorsorge führt, unterschritten wird. Diese Fälle werden dann von der Wunschvorsorge erfasst.

Durch die AMR Nr. 11.1 ("Abweichungen nach Anhang Teil 1 Absatz 4 ArbMedVV bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B") werden Ausnahmen von der Veranlassung von Pflichtvorsorge bzw. dem Angebot von Angebotsvorsorge definiert (sogenannte Abschneidekriterien). Ein solches genanntes Abschneidekriterium ist z. B. das Vorliegen einer geringen Gefährdung im Sinne von § 6 Absatz 13 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) in Verbindung mit der TRGS 400 ("Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen"). Bei der zu erstellenden Gefährdungsbeurteilung ist der Betriebsarzt/die Betriebsärztin zu beteiligen.

Tätigkeiten mit geringer Gefährdung im Sinne von § 6 Absatz 13 GefStoffV liegen vor, wenn sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass aufgrund der Eigenschaften des Gefahrstoffs, der Arbeitsbedingungen, einer nur geringen verwendeten Stoffmenge und einer nach Höhe und Dauer niedrigen Exposition Maßnahmen nach § 8 GefStoffV zum Schutz der Beschäftigen ausreichen. Eine solche Gefährdungsbeurteilung muss als Grundlage für die Entscheidungen im jeweils konkreten Einzelfall durchgeführt werden.

Chirurgische Rauchgase stellen eine Mischung von gas- und dampfförmigen sowie partikulären Schadstoffen dar. Die Zusammensetzung ist sehr unterschiedlich, je nach Verfahren und Art des Eingriffs sowie der Art des behandelten Gewebes. So ist es richtig, dass im Rauch auch organische Pyrolyseprodukte gefunden werden, u. a. auch das erwähnte Toluol. Grundsätzlich gilt: Die Exposition gegenüber OP-Rauchen kann unter Berücksichtigung der bisherigen toxikologischen Erkenntnisse mit ernsthaften gesundheitlichen Gefahren einhergehen.

Aber nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand sind gesicherte Erkrankungen durch eine Exposition gegenüber chirurgischen Rauchgasen bisher nicht bekannt worden. Zurzeit gibt es keine spezielle arbeitsmedizinische Vorsorge(untersuchung) mit dem Ziel einer Früherkennung von Erkrankungen, die durch chirurgische Rauchgase induziert werden.

Arbeitsmedizinische Vorsorge macht jedoch aufgrund des vorhandenen und toxikologisch belegten gesundheitlichen Gefahrenpotentials durchaus Sinn und die gegenüber chirurgischen Rauchgasen exponierten Beschäftigten sollten entsprechenden Zugang dazu erhalten.

Im Einzelnen gehen wir auf die in der Fragestellung genannten Expositionen ein:

Zu Toluol:

Wenn nach der aktuellen Gefährdungsbeurteilung eine nur geringe Gefährdung im Sinne von § 6 Absatz 13 GefStoffV vorliegt (z. B. unter Berücksichtigung gemessener Luftkonzentrationen und eines eingehaltenen AGW), kann von dem Abschneidekriterium nach AMR Nr. 11.1 Gebrauch gemacht werden, dies muss in der Gefährdungsbeurteilung begründet werden und in der Unterweisung muss auf die Möglichkeit der Wunschvorsorge ausdrücklich hingewiesen werden (da ein Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann, bleibt das Recht auf Wunschvorsorge nach § 5a ArbMedVV erhalten). Bei Änderung der Arbeitsbedingungen muss dies neu überprüft werden.

Zu den krebserzeugenden Gefahrstoffen in den Rauchgasen:

Hier kann der Arbeitgeber entweder im Rahmen einer aktuellen Gefährdungsbeurteilung eine nur geringe Gefährdung im Sinne von § 6 Absatz 13 GefStoffV aufzeigen (z. B. unter Berücksichtigung gemessener Hintergrundkonzentrationen in der Luft und einer eingehaltenen Akzeptanzkonzentration nach TRGS 910 bei gegebener Exposition-Risiko-Beziehung), in diesem Falle kann ebenso von einem Abschneidekriterium nach AMR Nr. 11.1 Gebrauch gemacht werden, das Recht auf Wunschvorsorge bleibt erhalten. Ansonsten ist arbeitsmedizinische Vorsorge anzubieten (Angebotsvorsorge).

Zu "Gewebeproben in Formaldehyd":

Hier handelt es sich um eine Labortätigkeit mit einer laborüblichen Menge, bei der die Anforderungen der TRGS 526 im Hinblick auf die maximal einzusetzenden Mengen eingehalten werden. Es kann von einem Abschneidekriterium nach AMR Nr. 11.1 Gebrauch gemacht werden, das Recht auf Wunschvorsorge bleibt erhalten.