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Gibt es Regelungen seitens der Berufsgenossenschaften, die die Arbeitszeiten in extremer Kälte regeln?

KomNet Dialog 43509

Stand: 15.04.2021

Kategorie: Gesunde Arbeit / Arbeitsschutz > Physikalische Belastungen und Beanspruchungen > Hitzearbeit / Kältearbeit

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Frage:

Können Sie mir Regelungen seitens der Berufsgenossenschaften nennen, die die Arbeitszeiten in extremer Kälte (Kältearbeit bis -25 Grad; Kältearbeit über -25 Grad) regeln? Gibt es hierzu wissenschaftliche Begründungen?

Antwort:

Die DGUV Regel 100-500 „Betreiben von Arbeitsmitteln“ regelt in Kapitel 2.35 den Bau, die Ausrüstung sowie den Betrieb von und Arbeiten in Kälteanlagen einschließlich Wärmepumpen, Kühleinrichtungen, deren Aufstellungsräume sowie Kühlräume.


Abschnitt 3.11 regelt die "Arbeiten in Kühlräumen", hierzu zählt:


"3.11.1 Kühlräume dürfen erst dann abgeschlossen oder verriegelt werden, wenn festgestellt worden ist, dass sich niemand in den Räumen befindet.


3.11.2 Versicherte, die in Kühlräumen beschäftigt sind, müssen eine Kleidung tragen, die einen ausreichenden Kälteschutz bietet. Erforderlichenfalls ist eine besondere Kälteschutzkleidung vom Unternehmer zur Verfügung zu stellen.


3.11.3 Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass Versicherte, die der Gefahr der Unterkühlung ausgesetzt sind, in regelmäßigen Zeitabständen überwacht werden."


Hinsichtlich des Aufenthaltes in Kühlräumen wird in Abschnitt 3.12 ausgeführt:


"3.12.1 Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass sich Versicherte in Räumen mit Temperaturen unter -25 °C nicht länger als zwei Stunden ununterbrochen aufhalten. Danach müssen sich die Versicherten mindestens 15 Minuten zum Aufwärmen außerhalb eines Kühlraumes aufhalten.

Hierzu wird ergänzend erläutert:

§ 12 der Arbeitszeitordnung bleibt hiervon unberührt.

Bei Beeinträchtigung der Wirksamkeit der Kälteschutzkleidung bei besonderen Arbeiten, z.B. Reparaturen, sollten kürzere Aufenthaltszeiten gewählt oder die Vorschrift auch bei höheren Temperaturen angewandt werden, um eine gesundheitsschädliche Einwirkung durch Kälte zu vermeiden.

Für den Aufenthalt in temperierten Kabinen innerhalb von Kühlräumen trifft die Vorschrift nicht zu, wenn die Versicherten gemäß Abschnitt 3.10 ausgestattet sind, den Kühlraum verlassen können und dort überwacht werden, z.B. bei Ausfall der Heizung.

In der Aufwärmzeit ist die Zeit, die zum An- und Ablegen der Kälteschutzkleidung benötigt wird, enthalten.


3.12.2 Verlässt der Versicherte einen Raum mit Temperaturen unter -25 °C weniger als 15 Minuten, so gilt dies nicht als eine Unterbrechung der Aufenthaltszeit.


3.12.3 Der Unternehmer darf Versicherte in Räumen mit Temperaturen unter -45 °C nur nach Maßgabe der von der Berufsgenossenschaft im Benehmen mit der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Behörde festgesetzten Aufenthalts- und Aufwärmzeiten beschäftigen.


3.12.4 Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass ein Versicherter sich nicht länger als insgesamt acht Stunden täglich in Räumen mit Temperaturen unter -25 °C aufhält."


Damit geht die Berufsgenossenschaftliche Regel „Betreiben von Arbeitsmitteln“ DGUV Regel 100-500 davon aus, dass in Räumen mit Temperaturen über -25 °C bei entsprechend angepasster Kälteschutzkleidung ein ununterbrochener Aufenthalt prinzipiell möglich ist, sofern keine Gefahr der Unterkühlung besteht. Erst bei Räumen mit Temperaturen unter -25 °C wird die ununterbrochene Arbeitszeit auf 2 Stunden begrenzt, der sich eine mindestens 15 minütige Aufenthaltsdauer zum Aufwärmen außerhalb eines Kühlraumes anzuschließen hat. Die nächste Stufe beginnt dann erst bei Temperaturen unter -45 °C, bei der eine Beschäftigung/Aufenthalt nur möglich ist, wenn die von der Berufsgenossenschaft im Benehmen mit der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Behörde festgesetzten Aufenthalts- und Aufwärmzeiten eingehalten werden.


Angaben zur Begründung oder Kriterien für die Festlegung dieser Stufen werden nicht gemacht bzw. angegeben, was für Dokumente dieser Art nicht ungewöhnlich ist. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Festlegungen ausschließlich auf der Grundlage einer Energiebilanzbetrachtung (s.a. DIN EN ISO 11079) erfolgt sind, d.h., dass mit diesen Festlegungen vermieden werden soll, dass der gesamte Körper nicht zu viel Energie verliert und auskühlt.


In der betrieblichen Realität muss allerdings auch die Auskühlung einzelner - insbesondere der nicht oder nur vergleichsweise gering bekleideten - Körperpartien beachtet werden. Dies gilt vor allem für den Hand-/Fingerbereich, den Fußbereich sowie das Gesichtsfeld, dessen Bekleidungsisolation nicht weistestgehend frei wählbar ist, sondern mit Blick auf die zu leistende Arbeit im Regelfall geringer ausfällt als notwendig wäre.


D.h. in der betrieblichen Realität muss neben dem Grenzkriterium "Wärmebilanz des gesamten Körpers" auch das Grenzkriterium "Vermeidung des Erfrierens einzelner Körperpartien" beachtet werden.


Diese beiden Grenzkriterien werden in der unter Beteiligung der Unfallversicherungsträger erarbeiteten DIN-Norm 33403, Teil 5 (1997) "Klima am Arbeitsplatz und in der Arbeitsumgebung: Teil 5: Ergonomische Gestaltung von Kältearbeitsplätzen" entsprochen. Wie dort angegeben basieren die Festlegungen auf der Forderung, dass die mittlere Hauttemperatur nicht unter 30 °C sinkt (Abschnitt 4.2) und an keiner Körperstelle die lokale Hauttemperatur unter +12 °C absinkt (Abschnitt 4.4).


Obwohl die Norm bereits 1997 erarbeitet wurde, sind die dort beschriebenen Maßnahmen nach wie vor aktuell. Sie berücksichtigen den Arbeitsenergieumsatz als Kenngröße der inneren Wärmeproduktion und kommen entsprechend der Berücksichtigung beider Grenzkriterien zu deutlich andern maximalen, ununterbrochenen Kälteexpositionszeiten sowie empfohlenen Aufwärmzeiten (Tabelle C.1) als dies in der DGUV Regel 100-500 festgelegt sind.


Gerade diese Empfehlungen zu Kälteexpositions- und Aufwärmzeiten wurden in den letzten Jahren insbesondere durch die Forschungsgruppe der Universität Siegen um Prof. Dr. Karsten Kluth in verschiedeneen Kältebereichen überprüft. Die Überprüfung ergab, dass bei Einhaltung der in der DIN 33403-5 in der dortigen Tabelle C.1 genannten Festlegungen/Empfehlungen zu Kälteexpositions- und Aufwärmzeiten auch unter betrieblichen Bedingungen die Grenzkriterien sowohl gobal als auch lokal eingehalten werden können.


Zusammenfassend kann also auf der Grundlage der vorangegangenen Erläuterungen festgestellt werden, dass es ratsam ist, für die Gefährungsbeurteilung ebenso wie für die Ableitung ggfs. erforderlicher Maßnahmen neben der DGUV Regel 100-500 auch die Empfehlungen der DIN 33403-5 zu beachten. Die Festlegungen der Arbeitszeitordnung bleiben hier von selbstverständlich unberührt.


Hinweis:

Normen liegen uns im Regelfall nicht vor, daher können wir keine weitergehenden Informationen hierzu geben. Normen können Sie kostenpflichtig über den Beuth Verlag beziehen. Für DIN-Vorschriften gibt das Deutsche Institut für Normung unter www.din.de eine Erläuterung bezüglich der Rechtsverbindlichkeit von Normen:

"Die Anwendung von DIN-Normen ist grundsätzlich freiwillig. Erst wenn Normen zum Inhalt von Verträgen werden oder wenn der Gesetzgeber ihre Einhaltung zwingend vorschreibt, werden Normen bindend. Daneben helfen sie im Fall einer möglichen Haftung: Wer DIN-Normen – als anerkannte Regeln der Technik – anwendet, kann ein ordnungsgemäßes Verhalten einfacher nachweisen."


Die Anwendung von Normen ist freiwillig. Da sie aber den Stand der Technik widerspiegeln, bietet die Einhaltung von Normen eine gewisse Rechtssicherheit. Im Rechtsstreit wird ein Richter der Norm regelmäßig den "Beweis des ersten Anscheins" zubilligen. Eine widerlegbare Rechtsvermutung (Beweislastumkehr).