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Wo liegt bzgl. der Weisungsfreiheit der Sicherheitsfachkraft die Grenze zwischen disziplinarischer und fachlicher Anweisung?

KomNet Dialog 3635

Stand: 16.12.2014

Kategorie: Betriebliches Arbeitsschutzsystem > Beauftragte / Bestellte > Fachkraft für Arbeitssicherheit

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Frage:

Die Sicherheitsfachkraft wird grundsätzlich als weisungsfrei bezeichnet. Sie darf keine Weisungen erteilen und darf keinen Weisungen ausgesetzt sein. Zumindest gilt dies in fachlicher Hinsicht. Doch wo endet eine rein disziplinarische Anordnung, wie sie jeder Beschäftigte erhalten kann (z.B. Verwendung bestimmter Urlaubsanträge) und wo fängt eine Anordnung des Unternehmers an, in die fachliche Unabhängigkeit der einzelnen Sifa oder der leitenden Sifa einzugreifen?

Antwort:

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Arbeitssicherheitsgesetzes -ASiG- sind Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bei der Anwendung ihrer Fachkunde weisungsfrei. Hierzu wird in der amtlichen Begründung ausgeführt, dass diese Vorschrift gewährleisten soll, dass die Fachkunde unabhängig (frei von Weisungen, in die sachfremde Erwägungen einfließen könnten) angewendet und den Arbeitgeber bzw. die sonst verantwortlichen Personen objektiv beraten werden können.

Werden Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit auf einer freiberuflichen Basis oder aber ein überbetrieblicher Dienst zur Erfüllung der sich aus dem ASiG ergebenden Pflichten verpflichtet, so fehlt es in aller Regel an einem Abhängigkeitsverhältnis, in dessen Rahmen Weisungen erteilt werden können.

Praktische Bedeutung entfaltet die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation eingegliedert ist und hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der vereinbarten Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Aufgrund dieses Weisungsrechts kann der Arbeitgeber die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Zeit, Ort und Art der Leistung näher bestimmen; allerdings nur im Rahmen der mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Dienste.

Rechtliche Grenzen für das Weisungsrecht des Arbeitgebers ergeben sich aus höherrangigem Recht; hier aus § 8 Abs. 1 Satz 1 des ASiG.

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist allerdings nur insoweit eingeschränkt, als es die Anwendung der Fachkunde betrifft. Weisungen, die nicht den Bereich der Fachkunde-Anwendung betreffen, können vom Arbeitgeber auch gegenüber Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit weiter erteilt werden, wobei das „billige Ermessen“ (§ 315 BGB) eine allgemeine Weisungsgrenze bildet; Weisungen des Arbeitgebers dürfen nicht willkürlich erfolgen; die beiderseitigen Interessen müssen angemessen berücksichtigt werden.

In Einzelfällen aus der betrieblichen Praxis dürfte es mitunter ausgesprochen schwierig sein, zwischen unzulässigen Weisungen zur Fachkunde-Anwendung und zulässigen Weisungen im Rahmen des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts zu unterscheiden, was nicht unerhebliche Folgen für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben kann. Nur die Befolgung einer unzulässigen Weisung kann der Arbeitnehmer, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, verweigern. Befolgt der Arbeitnehmer dagegen eine zulässige Weisung nicht, so berechtigt dies den Arbeitgeber grundsätzlich, das Arbeitsverhältnis nach vorheriger Abmahnung ordentlich zu kündigen.

Hat der Betriebsarzt oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Weisung, so bleibt letztlich nur die Möglichkeit, die Weisung – unter Erklärung eines ausdrücklichen Vorbehalts – zu befolgen und die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich durch Erhebung einer positiven oder negativen Feststellungsklage überprüfen zu lassen.

[Quelle: Kommentar zum Arbeitssicherheitsgesetz von Anzinger und Bieneck]