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Wie sollen sich Arbeitnehmer verhalten, wenn Arbeitszeiten nicht ordnungsgemäß erfasst werden?
KomNet Dialog 2333
Stand: 22.03.2023
Kategorie: Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen > Arbeitszeitberatung und -gestaltung > Rechts- und Auslegungsfragen, Sonstiges (8.1.8)
Frage:
In unserer Firma werden Überstunden vertuscht, indem die Kollegen nach dem Ende der regulären Arbeitszeit ausstempeln und die Überstunden separat erfasst werden (auch Azubis). Was können wir dagegen machen? Hier gibt es keinen Betriebsrat, keine Gewerkschaft. Wenn wir uns z.B. bei der Gewerbeaufsicht beschweren, wären wir sicher die längste Zeit beschäftigt gewesen. Kann ich irgendwo vertraulich meine Hinweise loswerden? Macht sich eine Kollegin strafbar, die diese Erfassung auf Anweisung vornehmen muss?
Antwort:
In den "Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung" auf der Seite des BMAS wird u.a. Folgendes ausgeführt:
"Was hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 (BAG-1 ABR 22/21) beschlossen?
Das Bundesarbeitsgericht hat am 13. September 2022 verbindlich entschieden, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Der Arbeitgeber ist nach § 3 Absatz 2 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) - unter Vornahme einer unionsrechtskonformen Auslegung - verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann (BAG - 1 ABR 22/21).
Dabei bezieht sich das BAG auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, welches die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie betraf. Nach der BAG-Entscheidung ist das Urteil des EuGH aufgrund des Arbeitsschutzgesetzes bereits heute von den Arbeitgebern in Deutschland zu beachten.
Die Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung beschränkt sich nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt. Vielmehr ist der Arbeitgeber verpflichtet, von dem System tatsächlich Gebrauch zu machen.
Was genau muss ein Arbeitgeber erfassen?
Festlegungen zum Inhalt der Arbeitszeitdokumentation sind noch nicht getroffen worden. Aber: Um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, muss der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeder Arbeitnehmerin bzw. jedes Arbeitnehmers aufzeichnen.
Wie und wann muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Festlegungen zum Inhalt der Arbeitszeitdokumentation sind noch nicht getroffen worden. Für die Aufzeichnung besteht derzeit keine Formvorschrift; sie kann auch handschriftlich erfolgen.
Wer kontrolliert die Arbeitszeiterfassung?
In erster Linie ist der Arbeitgeber dafür verantwortlich, dass die geltenden Gesetze eingehalten werden; er ist verpflichtet, seinen Betrieb entsprechend zu organisieren.
Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz sind zwar Bundesgesetze, die Überwachung der Bestimmungen der Gesetze ist jedoch Aufgabe der Bundesländer. Die Länder und die nach Landesrecht bestimmten Arbeitsschutzbehörden (z.B. die Gewerbeaufsichtsämter) sind auch für die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zuständig. Nur sie - und im Streitfall die Gerichte - können deshalb verbindliche Entscheidungen im Einzelfall treffen. Bei Verstößen können z.B. Nachbesserungen verlangt oder gegebenenfalls auch Bußgelder verhängt werden, deren Höhe im Einzelfall der Schwere des jeweiligen Rechtsverstoßes angepasst wird.
Die Art und Weise der Zeiterfassung wird in einem Unternehmen entweder individuell oder im Rahmen einer Betriebsvereinbarung geregelt.
Es wird empfohlen, dass die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die regulären Arbeitszeiten nochmals für sich selbst aufzeichnen. Mit diesen Aufzeichnungen können Sie sich an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden.
Auf § 17 "Rechte der Beschäftigten" des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) weisen wir hin. Die Mitarbeiter der Behörde sind verpflichtet, die Informationen vertraulich zu behandeln. Die Informationen können aber auch anonym an die zuständige Arbeitsschutzbehörde übermittelt und um eine Kontrolle des Betriebes gebeten werden. Im Regelfall wird die Behörde einer solchen, hinreichend konkreten, Beschwerde nachgehen. Die Verpflichtung zur Aufzeichnung trifft den Arbeitgeber direkt und nicht den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber handelt nach § 22 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG ordnungswidrig, wenn er entgegen § 16 Abs. 2 ArbZG Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig erstellt. Der Verstoß kann mit einem Bußgeld geahndet werden. Es handelt sich also auch für den Arbeitgeber nicht um einen Straftatbestand im Sinne des § 23 ArbZG.
Hinweis:
In Nordrhein-Westfalen können Sie sich unter der Rufnummer 0211 855 3311 von Montag bis Freitag zwischen 8:00 und 18:00 Uhr über unzumutbare Arbeitsbedingungen beschweren. Anfragen werden vertraulich behandelt.