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KomNet-Wissensdatenbank

Ist für werdende Mütter generell der Kontakt zu gefährlichen chemischen Stoffen verboten?

KomNet Dialog 15704

Stand: 19.10.2018

Kategorie: Besonders schutzbedürftige Personengruppen > Werdende und stillende Mütter > Beschäftigungsverbote und -beschränkungen

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Frage:

Eine schwangere Kollegin berichtete mir, dass Sie aufgrund von personellen Engpässen den Auftrag bekommen hat, in Bereichen zu arbeiten, wo sie in Kontakt zu gefährlichen chemischen Stoffen kommt, wie z.B Acetaldehyd. Ich habe die Kollegin daher gebeten, diesem Auftrag nicht nachzukommen, da sie als Schwangere keine Tätigkeiten ausführen sollte, bei denen sie gesundheitsgefährdeten Stoffen ausgesetzt ist. Der zuständige Abteilungsleiter hat sich jetzt beschwert, dass ich dieser Mitarbeiterin nicht hätte verbieten dürfen, den Auftrag wahrzunehmen. Habe ich jetzt hier als SiFa falsch gehandelt?

Antwort:

Nach den mutterschutzrechtlichen Vorschriften besteht kein generelles Beschäftigungsverbot für eine werdende Mutter hinsichtlich Tätigkeiten, bei denen Kontakt zu gefährlichen chemischen Stoffen besteht.


Grundsätzliches Vorgehen:

Bei der Beschäftigung einer werdenden oder stillenden Mutter muss der Arbeitgeber von sich aus die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) einhalten und entsprechend erforderliche Schutzmaßnahmen treffen, d.h. den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Leben und Gesundheit von Mutter und Kind durch die berufliche Tätigkeit nicht gefährdet werden.


Der Arbeitgeber hat - unabhängig davon, ob eine Frau am Arbeitsplatz beschäftigt wird - bereits im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) für jede Tätigkeit jene Gefährdungen nach Art, Ausmaß und Dauer zu ermitteln, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt sein kann (anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG). Auf Grundlage dieser Beurteilung ist anschließend festzustellen, inwieweit Schutzmaßnahmen erforderlich werden. Mit Bekanntgabe der Schwangerschaft bzw. Stillbereitschaft hat der Arbeitgeber seine Beurteilung auf Aktualität zu überprüfen, die Schutzmaßnahmen festzulegen und der anzeigenden Arbeitnehmerin ein Gespräch zu weiteren Anpassungen anzubieten (§ 10 Abs. 2 MuSchG). Hat der Arbeitgeber keine erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen, hat er die Arbeitnehmerin freizustellen (Beschäftigungsverbot nach § 10 Abs. 3 MuSchG).


Ergibt die Beurteilung, dass eine unverantwortbare Gefährdung bezüglich der Sicherheit oder Gesundheit von Mutter und/oder Kind vorliegt, ist der Arbeitgeber dazu angehalten, der Frau die Fortführung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen und in diesem Sinne geeignete Schutzmaßnahmen in Rangfolge des § 13 MuSchG zu treffen, die sich wie folgt gliedern:

1. Umgestaltung der Arbeitsbedingungen

2. Arbeitsplatzwechsel (Arbeitgeber hat hierbei erweitertes Direktionsrecht, § 315 BGB)

3. Freistellung im Rahmen eines Beschäftigungsverbots unter Zahlung des Mutterschutzlohns gem. § 18 MuSchG (als Ultima Ratio)


Die Dokumentationspflicht bezüglich der Gefährdungsbeurteilung und die Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten ergeben sich aus § 14 MuSchG.


Konkret:


In Bezug auf die Fragestellung ist § 11 Abs. 1 MuSchG relevant. Danach darf der Arbeitgeber eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen sie in einem Maß Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt. Wann eine unverantwortbare Gefährdung vorliegt, wird im § 11 Abs.1 MuSchG beschrieben. Eine unverantwortbare Gefährdung gilt u.a. dann als ausgeschlossen, wenn für den jeweiligen Gefahrstoff die arbeitsplatzbezogenen Vorgaben eingehalten werden und es sich um einen Gefahrstoff handelt, der als Stoff ausgewiesen ist, der bei Einhaltung der arbeitsplatzbezogenen Vorgaben hinsichtlich einer Fruchtschädigung als sicher bewertet wird.


Laut Gestis-Stoffdatenbank gibt es für Acetaldehyd derzeit keine Grenzwerte, aber wissenschaftliche Empfehlungen der MAK-Kommission, die in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen sind: 

"50 ml/m³

91 mg/m³


Spitzenbegrenzung: Überschreitungsfaktor 1

Dauer 15 min, Mittelwert; 4 mal pro Schicht; Abstand 1 h

Kategorie I - Stoffe bei denen die lokale Wirkung grenzwertbestimmend ist oder atemwegssensibilisierende Stoffe


Krebserzeugend: Kategorie 5

Stoffe mit krebserzeugender und genotoxischer Wirkung, deren Wirkungsstärke jedoch als so gering erachtet wird, dass bei Einhaltung des MAK-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten ist.


Schwangerschaft: Gruppe C

Ein Risiko der Fruchtschädigung braucht bei Einhaltung des MAK-Wertes und des BAT-Wertes nicht befürchtet werden.


Keimzellmutagen: Kategorie 5

Keimzellmutagene, deren Wirkungsstärke als so gering erachtet wird, dass unter Einhaltung des MAK-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum genetischen Risiko für den Menschen zu erwarten ist.


Ein Momentanwert von 100 ml/m³ (180 mg/m³) sollte nicht überschritten werden."



Auch fordert bereits die Gefahrstoffverordnung - GefStoffV unter § 7 Abs. 1 für alle Beschäftigungen:

"Der Arbeitgeber darf eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst aufnehmen lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung nach § 6 durchgeführt und die erforderlichen Schutzmaßnahmen nach Abschnitt 4 ergriffen worden sind."

"Die Gefährdungsbeurteilung darf nur von fachkundigen Personen durchgeführt werden. Verfügt der Arbeitgeber nicht selbst über die entsprechenden Kenntnisse, so hat er sich fachkundig beraten zu lassen. Fachkundig können insbesondere die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt sein." (§ 6 Abs. 9 GefStoffV)

Ihr Hinweis an die Beschäftigte, die Tätigkeit nicht auszuführen, wäre dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung nicht nachgekommen und/oder die Einhaltung der v. g. Werte nicht nachgewiesen ist.


Abschließend:


Zu beachten ist, dass die rechtliche Verantwortung für Maßnahmen des Arbeitsschutzes (auch in Bezug auf Bußgeld- und Strafvorschriften des Mutterschutzgesetzes) der Arbeitgeber trägt.

Für die Fachkraft für Arbeitssicherheit ist nach dem Arbeitssicherheitsgesetz der Leiter des Betriebs erster Ansprechpartner, den er beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen der Arbeitssicherheit einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit berät und unterstützt.


In § 8 Abs. 2 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) ist der Begriff "Leiter des Betriebs" nicht definiert. Es ist auf die Klarstellung durch die Rechtssprechung (insbesondere auf die des BAG zum Betriebsverfassungsgesetz) zurückzugreifen.


Leiter eines Betriebs ist demzufolge derjenige, der eine organisatorische Einheit leitet, in der mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte Zwecke fortgesetzt verfolgt werden, die sich in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen; dies kann auch ein Betriebsteil sein, wenn er räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig ist“ (Quelle: Kommentar zum § 8 Arbeitssicherheitsgesetz von Anzinger/Bieneck).


Der Abteilungsleiter ist gemäß v. g. Definition in der Regel nicht Leiter des Betriebs.


Die Angelegenheit sollte zum Anlass genommen werden, die betriebliche Aufbau- und Ablauforganisation zu überprüfen und ggf. neu zu gestalten.


Zum Beschwerderecht der Sifa verweisen wir darüber hinaus auf Dialog 24376.