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Geht der gesetzliche Unfallversicherungsschutz verloren, wenn es wegen einer Behinderung zu einem Arbeitsunfall kommt?

KomNet Dialog 6052

Stand: 05.12.2023

Kategorie: Gesunde Arbeit / Arbeitsschutz > Besonders schutzbedürftige Personengruppen > Leistungsgewandelte Arbeitnehmer/innen, (Schwer-) Behinderung

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Frage:

Viele Unternehmen scheuen die Neueinstellung sehbehinderter oder gehörloser Menschen. Sie befürchten, im Falle eines behinderungsbedingten Arbeitsunfalles (z.B. weil ein Warnsignal nicht gehört wurde oder eine geschlossene Tür nicht gesehen wurde) den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, sprich die Haftungsübernahme, zu verlieren. Diese Befürchtung wird damit begründet, dass ihnen zur Last gelegt werden könnte, grob fahrlässig und ohne Sachkenntnis der Auswirkung der Behinderung am Arbeitsplatz gehandelt bzw. nicht gehandelt zu haben. Hinweise meinerseits in Richtung personenbezogene Gefährdungsbeurteilung und Einleitung von Arbeitsschutzmaßnahmen bzw. Beratung durch (Arbeitschutz-)Fachleute und Integrationsfachdienste lässt diese Ängste nicht mindern. Gibt es diesbezüglich Präzedenzfälle? Gibt es zusätzliche Argumente, die diese Angst und somit dieses zusätzliche Einstellungshemmnis beratungsmäßig mindern?

Antwort:

Versicherte (Arbeitnehmer) sind bei ihrer Arbeit und auf Dienst- und Arbeitswegen gegen Unfälle und Berufskrankheiten versichert. Dieses gilt uneingeschränkt auch für schwerbehinderte Beschäftigte. Rechtsgrundlage für den Versicherungsschutz ist das Siebte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) . Der Versicherungsschutz besteht unabhängig von einer möglichen Haftung des Arbeitgebers auf Grund vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln (siehe dazu nachfolgende Erläuterungen).

Unter § 104 SGB VII Beschränkung der Haftung der Unternehmer ist Folgendes ausgeführt:

"(1) Unternehmer sind den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Ein Forderungsübergang nach § 116 des Zehnten Buches findet nicht statt."


Die Haftung des Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten ist somit auf äußerst seltene Fälle beschränkt, in denen Vorsatz nachgewiesen wird. Fälle aus der Praxis sind hier nicht bekannt.

Gegenüber den Sozialversicherungsträgern haftet der Arbeitgeber gemäß § 110 SGB VII in den Fällen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Dieses gilt auch unabhängig davon, ob es sich um Beschäftigte mit Behinderung handelt und ist in der betrieblichen Praxis ebenfalls äußerst selten.

Zur zahlenmäßigen Häufigkeit bezüglich möglicher Verfahren können, wenn überhaupt, nur die Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft/Unfallkassen) Auskunft geben.

Möglicherweise wäre es hilfreich, wenn der Arbeitgeber von seinem Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft/Unfallkasse) über seine Haftungspflichten aufgeklärt würde, um so ein Gefühl für realistische Haftungsrisiken zu bekommen.


Auch wird der Arbeitgeber durch einen Schwerbehindertenbeauftragten gemäß § 177 SGB IX unterstützt, der ihn in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen verantwortlich vertritt. Der § 177 Absatz 1 lautet:

"In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung vertritt. Ferner wählen bei Gerichten, denen mindestens fünf schwerbehinderte Richter oder Richterinnen angehören, diese einen Richter oder eine Richterin zu ihrer Schwerbehindertenvertretung. Satz 2 gilt entsprechend für Staatsanwälte oder Staatsanwältinnen, soweit für sie eine besondere Personalvertretung gebildet wird. Betriebe oder Dienststellen, die die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllen, können für die Wahl mit räumlich nahe liegenden Betrieben des Arbeitgebers oder gleichstufigen Dienststellen derselben Verwaltung zusammengefasst werden; soweit erforderlich, können Gerichte unterschiedlicher Gerichtszweige und Stufen zusammengefasst werden. Über die Zusammenfassung entscheidet der Arbeitgeber im Benehmen mit dem für den Sitz der Betriebe oder Dienststellen einschließlich Gerichten zuständigen Integrationsamt."