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Ist es nach der Maschinen-Richtlinie zulässig, dass handgeführte Maschinen bewusst oder unbewusst laufend abgelegt werden können?

KomNet Dialog 43793

Stand: 11.07.2023

Kategorie: Sichere Produkte > Beschaffenheit von Arbeitsmitteln / Einrichtungen > Beschaffenheit von Sicherheitseinrichtungen

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Frage:

In unserer Firma werden viele unterschiedliche handgehaltene (einhändisch, beidhändisch) Schleifmaschinen eingesetzt ("Schnellläufer", "Dremel" etc. - elektrisch sowie pneumatisch angetrieben). Ist es aus Sicht der 2006/42/EG (Anhang 1, Kapitel 2.2) zulässig, dass diese Maschinen bewusst/unbewusst laufend abgelegt werden können, ohne, dass diese einen automatischen Schalter besitzen, der, wie z.B. bei einem Akkubohrer, die Drehbewegungen abschaltet? Technisch gesehen wäre es aus Herstellersicht sicherlich möglich, Automatikschalter zu verwenden, jedoch bieten viele Hersteller diese Möglichkeiten nicht. Wie gehen wir mit diesen Maschinen in der Praxis um, zum Teil haben diese starke Antriebe.

Antwort:

Die Maschinen-Richtlinie (Masch-RL) Anhang 1 regelt, unter welchen Voraussetzungen Maschinen im Europäischen Wirtschaftsraum bereitgestellt und in Betrieb genommen werden dürfen. Die MaschRL richtet sich an den Hersteller.


Neben grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen an Maschinen (Kapitel 2.2.) regelt die MaschRL auch Anforderungen zur Stillsetzung von Maschinen im Notfall (handgeführten tragbaren Arbeitsmittel, Kapitel 1.2.4.3):


„Jede Maschine muss mit einem oder mehreren NOT-HALT-Befehlsgeräten ausgerüstet sein, durch die eine unmittelbar drohende oder eintretende Gefahr vermieden werden kann.

Hiervon ausgenommen sind:

- Maschinen, bei denen durch das NOT-HALT-Befehlsgerät das Risiko nicht gemindert werden kann, da das NOT-HALT-Befehlsgerät entweder die Zeit des Stillsetzens nicht verkürzt oder es nicht ermöglicht, besondere, wegen des Risikos erforderliche Maßnahmen zu ergreifen;

- handgehaltene und/oder handgeführte Maschinen."


Hinsichtlich der Anforderungen gemäß Maschinen-Richtlinie wird auf die Möglichkeit der Beratung durch die zuständige Arbeits- oder Verbraucherschutzbehörde hingewiesen.


Vor der Verwendung von Arbeitsmitteln im Betrieb hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner Gefährdungsbeurteilung zum Arbeitnehmerschutz nach § 3 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) zu prüfen. Hierbei ist § 8 BetrSichV zu berücksichtigen:


"§ 8 Schutzmaßnahmen bei Gefährdungen durch Energien, Ingangsetzen und Stillsetzen

(...)

(4) Arbeitsmittel dürfen nur absichtlich in Gang gesetzt werden können. Soweit erforderlich, muss das Ingangsetzen sicher verhindert werden können oder müssen sich die Beschäftigten Gefährdungen durch das in Gang gesetzte Arbeitsmittel rechtzeitig entziehen können. Hierbei und bei Änderungen des Betriebszustands muss auch die Sicherheit im Gefahrenbereich durch geeignete Maßnahmen gewährleistet werden.

(5) Vom Standort der Bedienung des Arbeitsmittels aus muss dieses als Ganzes oder in Teilen so stillgesetzt und von jeder einzelnen Energiequelle dauerhaft sicher getrennt werden können, dass ein sicherer Zustand gewährleistet ist. Die hierfür vorgesehenen Befehlseinrichtungen müssen leicht und ungehindert erreichbar und deutlich erkennbar gekennzeichnet sein. Der Befehl zum Stillsetzen eines Arbeitsmittels muss gegenüber dem Befehl zum Ingangsetzen Vorrang haben. Können bei Arbeitsmitteln, die über Systeme mit Speicherwirkung verfügen, nach dem Trennen von jeder Energiequelle nach Satz 1 noch Energien gespeichert sein, so müssen Einrichtungen vorhanden sein, mit denen diese Systeme energiefrei gemacht werden können. Diese Einrichtungen müssen gekennzeichnet sein. Ist ein vollständiges Energiefreimachen nicht möglich, müssen an den Arbeitsmitteln entsprechende Gefahrenhinweise vorhanden sein.

(6) Kraftbetriebene Arbeitsmittel müssen mit einer schnell erreichbaren und auffällig gekennzeichneten Notbefehlseinrichtung zum sicheren Stillsetzen des gesamten Arbeitsmittels ausgerüstet sein, mit der Gefahr bringende Bewegungen oder Prozesse ohne zusätzliche Gefährdungen unverzüglich stillgesetzt werden können. Auf eine Notbefehlseinrichtung kann verzichtet werden, wenn sie die Gefährdung nicht mindern würde; in diesem Fall ist die Sicherheit auf andere Weise zu gewährleisten. Vom jeweiligen Bedienungsort des Arbeitsmittels aus muss feststellbar sein, ob sich Personen oder Hindernisse im Gefahrenbereich befinden, oder dem Ingangsetzen muss ein automatisch ansprechendes Sicherheitssystem vorgeschaltet sein, das das Ingangsetzen verhindert, solange sich Beschäftigte im Gefahrenbereich aufhalten. Ist dies nicht möglich, müssen ausreichende Möglichkeiten zur Verständigung und Warnung vor dem Ingangsetzen vorhanden sein. Soweit erforderlich, muss das Ingangsetzen sicher verhindert werden können, oder die Beschäftigten müssen sich Gefährdungen durch das in Gang gesetzte Arbeitsmittel rechtzeitig entziehen können.


In Rücksprache mit dem Hersteller sollte ermittelt werden, welche Nachrüstungsmöglichkeiten, z.B. Einbau einer Bremse, möglich sind und zu einer Risikominimierung führen.

Z.B. können nachlaufende Handwerkzeuge auch in geschützten Werkzeughalterungen „abgelegt“ werden, so dass die Gefährdungen durch rotierende Teile minimiert werden.

 

Fazit:

Der Arbeitgeber ist vor der Verwendung von Arbeitsmitteln, hier: von ortsveränderlichen elektrischen Arbeitsmitteln, verpflichtet, auftretende Gefährdungen zu ermitteln, geeignete Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik festzulegen und umzusetzen und die Wirksamkeit dieser Maßnahmen nachweisbar zu überprüfen. (§ 3 BetrSichV)

Dazu gehört u.a. die Bewertung mechanischer Gefährdungen zu unkontrolliert beweglichen Teilen. Die gewählte Arbeitsschutzmaßnahme muss geeignet sein, das Risiko einer Gesundheitsgefährdung zu senken bzw. zu verhindern. Dabei ist zu berücksichtigen, ob z.B. die Notbefehlseinrichtung zu einer schnelleren Stillsetzung der gefahrbringenden Bewegung führt oder ob vergleichbare Schutzmaßnahmen zu treffen sind. Bei der Wahl der Arbeitsschutzmaßnahmen ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen (technisch - organisatorisch - persönlich) nach dem T-O-P- Prinzip zu berücksichtigen.

Bereits bei der Beschaffung von Werkzeugen ist darauf zu achten, dass Arbeitsmittel entsprechend dem Stand der Technik beschafft werden.