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Müssen Radlader, die auf Abfallumschlagplätzen mit Anlieferverkehr eingesetzt werden, zwingend über eine Rückfahrkamera verfügen?

KomNet Dialog 42347

Stand: 03.02.2021

Kategorie: Sichere Produkte > Beschaffenheit von Arbeitsmitteln / Einrichtungen > Beschaffenheit von Sicherheitseinrichtungen

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Frage:

Müssen Radlader, die auf Abfallumschlagplätzen mit Anlieferverkehr eingesetzt werden, zwingend über eine Rückfahrkamera verfügen? Müssen ältere Radlader nachgerüstet werden?

Antwort:

Ein Radlader ist eine Maschine im Sinne der Richtlinie 2006/42/EG - Maschinenrichtlinie

In dieser Richtlinie sind im Anhang I Nr. 3   3. "Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zur Ausschaltung der Gefährdungen, die von der Beweglichkeit von Maschinen ausgehen" aufgeführt. 

Eine generelle Pflicht für eine Rückwärtsfahr-Warneinrichtung ist dort nicht gefordert.


In dem Leitfaden zur Richtlinie 2006/42/EG wird in § 194 erläutert, dass soweit möglich, die Maschine zu so konstruieren und zu bauen ist, dass der Fahrer den Bereich um die Maschine in angemessener Weise direkt einsehen kann. Insbesondere muss der Fahrer erkennen können, ob sich in der Nähe der Maschine Personen aufhalten, welche durch die Bedienung oder Bewegung der Maschine gefährdet werden könnten.

Bei unzureichender Direktsicht, d. h. wenn der Blick des Fahrers auf Personen oder Hindernisse im Gefahrenbereich möglicherweise durch Teile der Maschine oder Gegenstände oder Materialien, die von der Maschine befördert werden, so weit versperrt wird, dass der Fahrer diese Personen oder Hindernisse nicht bemerkt, müssen geeignete Vorrichtungen für eine indirekte Einsehbarkeit montiert werden. Zu diesen Vorrichtungen zählen geeignete Spiegel und Kamera-Monitor-Systeme (KMS; engl.: CCTV).


Ein Hersteller ist gemäß Maschinenrichtlinie grundsätzlich verpflichtet eine Risikobeurteilung vorzunehmen, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln. Die Maschine muss dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden.


Wie Eingangs der Antwort angesprochen, ergibt sich aus der Richtlinie selbst aber keine generelle Pflicht für eine Rückfahrwarneinrichtung.


Zu beachten ist aber, dass sich für einen Arbeitgeber bezüglich Sicherheitsmaßnahmen beim Rückwärtsfahren Anforderungen aus der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und den anzuwendenden Unfallverhütungsvorschriften ergeben. 

Im Anhang 1 Nummer 1 BetrSichV "Mindestanforderungen für die Benutzung mobiler selbstfahrender und nichtselbstfahrender Arbeitsmittel" wird u.a. gefordert, dass der Arbeitgeber Vorkehrungen zu treffen hat, damit sie über geeignete Hilfsvorrichtungen, wie zum Beispiel Kamera-Monitor-Systeme verfügen, die eine Überwachung des Fahrwegs gewährleisten, falls die direkte Sicht des Fahrers nicht ausreicht, um die Sicherheit anderer Beschäftigter zu gewährleisten


Konkretisiert werden die Anforderungen der BetrSichV in den Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS), hier insbeondere die TRBS 2111 Teil 1 "Mechanische Gefährdungen - Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen beim Verwenden von mobilen Arbeitsmitteln".

Insbesondere möchten wir hier die Nummer 3.3.1 Buchstabe f) organisatorische Maßnahmen bei eingeschränkter Sicht hervorheben. Hier ist folgendes nachzulesen:


"Wenn die beim Führen eines mobilen Arbeitsmittels vorhandenen Sichtverhältnisse nicht ausreichend sind, kann der Arbeitgeber ergänzend zu den in Nummer 3.2.1 genannten technischen Maßnahmen organisatorische Maßnahmen treffen, um Gefährdungen zu vermeiden oder zu reduzieren.

Dies können z. B. sein:


  • Einsetzen eines Einweisers und Vereinbarung von Handsignalen zum Einweisen von Fahrzeugen,
  • Festlegung zum Einstellen und Verwendung von Spiegeln (am mobilen Arbeitsmittel und ggf. ortsfest), Kamera-Monitor-Systemen, 360-Grad-Kamerasystemen sowie Rangier- und Warneinrichtungen, z. B. zum sicheren Rückwärtsfahren und Rangieren von Lastkraftwagen,
  • Festlegen von Höchstgeschwindigkeiten,
  • Verbesserung der Erkennbarkeit von Beschäftigten durch die Verwendung von Warnkleidung als ergänzende Maßnahme."


In der DGUV Regel 100-500 "Betreiben von Arbeitsmitteln" ist in Kapitel 2.12 unter dem Punkt 3.3.3 folgendes nachzulesen:


"Ist es aus betrieblichen Gründen unvermeidlich, dass Versicherte den Gefahrbereich betreten müssen, hat der Unternehmer auf der Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen festzulegen. Abweichungen von den Abschnitten 3.3.1 und 3.3.2 sind nur unter Beachtung dieser Maßnahmen zulässig.


Siehe Abschnitt 3.1 des Anhangs 2 der Betriebssicherheitsverordnung.

Solche Maßnahmen können beispielsweise sein:

- technisch:

• zusätzliche Einrichtungen zur Verbesserung der Sicht;

- organisatorisch:

• Einsatz von Einweisern oder Sicherungsposten;

- ergänzend personenbezogene Maßnahmen, wie das Tragen von Warnwesten."


Eine Verpflichtung zu einer Rückfahrkamera ist auch hier nicht zu finden.


Ob eine Rückfahrwarneinrichtung erforderlich ist, muss also der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermitteln und festlegen. Dabei kann er sich von der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsärztin/ dem Betriebsrat beraten und unterstützen lassen.


Bei der Neubeschaffung eines Radladers ist zu empfehlen, die Erfordernis einer Rückfahrwarneinrichtung vor dem Kauf mit allen Beteiligten einschließlich Hersteller zu klären, damit nicht möglicherweise erst im Nachhinein in der Gefährdungsbeurteilung die Erfordernis einer Nachrüstung festgestellt wird.