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Fallen Freizeitmaßnahmen in Einrichtungen zur Betreuung und Pflege für körperlich und geistig behinderte Menschen unter das Arbeitszeitgesetz?

KomNet Dialog 2276

Stand: 07.11.2023

Kategorie: Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen > Arbeitszeitberatung und -gestaltung > Rechts- und Auslegungsfragen, Sonstiges (8.1.8)

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Frage:

Ich arbeite in einem Wohnheim für geistig behinderte Menschen. Jedes Jahr wird eine 14-tägige Ferienmaßnahme organisiert. Ein Beispiel: Drei Mitarbeiter fahren mit 9 Bewohnern des Wohnheims für 14 Tage zur Nordsee. Die Bewohner müssen von ca.7:00 Uhr bis 22:00 Uhr betreut werden. Von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr leisten die Mitarbeiter Bereitschaft (können schlafen, sind aber für eventuell anfallende Arbeiten zuständig). Vom Arbeitgeber werden 10 Stunden täglich (ohne Schichtzulage) vergütet. Sind die Arbeitszeiten während der Ferienmaßnahme zulässig und ist die Vergütung der geleisteten Arbeitszeit zulässig?

Antwort:

Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gilt grundsätzlich für die Beschäftigung von Arbeitnehmern in allen Bereichen. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG finden die Bestimmungen des Gesetzes jedoch auf Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen, keine Anwendung.


Die Nichtanwendung des ArbZG auf diese Arbeitnehmergruppe wurde in das Gesetz aufgenommen, weil die Tätigkeit eine durch das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht zwingend vorgeschriebene Unterscheidung zwischen Freizeit und Arbeitszeit nicht zulässt. Die Nichtanwendung des ArbZG ist auch gerechtfertigt, da ansonsten bewährte pädagogische Zielsetzungen, die auf einer familiennahen Lebens- und Erziehungsform aufbauen (z.B. im Bereich der SOS-Kinderdörfer), unmöglich sind. Durch das ArbZG sollen aber nicht Betreuungsmodelle unmöglich gemacht werden, in denen hilfebedürftigen Menschen in Wahlfamilien oder Lebensgemeinschaften eine besondere Form von Integration und Lebensgestaltung ermöglicht werden soll.


Nach der Kommentierung Zmarzlik/Anzinger, RdNr 20 zu § 18, müssen die Arbeitnehmer im Fall der Nichtanwendung des Gesetzes mit den ihnen anvertrauten Personen (z.B. Kinder, behinderte Menschen, Pflegebedürftige) in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, also gemeinsam wohnen und wirtschaften.


Eine spezielle und rechtlich eindeutige Regelung zur Bewertung der Zeiten der Durchführung von Ferienmaßnahmen ist im ArbZG nicht enthalten. Es ist zumindest zweifelhaft, ob bei einer solchen vorübergehenden und zeitlich befristeten Maßnahme der Ausnahmetatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG angewendet werden kann, da das Kriterium des Zusammenlebens in häuslicher Gemeinschaft nicht erfüllt ist. Bislang liegen hierzu auch noch keine gerichtlichen Entscheidungen vor. Von verschiedenen Bundesländern wird eine Klarstellung durch Änderung des Arbeitszeitgesetzes angestrebt. Danach sollen für die Dauer eines angeordneten oder bewilligten Ferienaufenthalts die Bestimmungen des Gesetzes keine Anwendung finden.


Nach der derzeitigen Rechtslage dürften die Bestimmungen des ArbZG auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei einem Ferienaufenthalt anzuwenden sein. Arbeitszeiten von mehr als 10 Stunden sind dann nur zulässig, wenn eine abweichende tarifliche Regelung im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 ArbZG vorliegt. Nach dieser Vorschrift kann in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung auf Grund eines Tarifvertrages zugelassen werden, dass die Regelungen verschiedener Vorschriften des Gesetzes (u.a. auch die Arbeits- und Ruhezeiten) bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen der Eigenart dieser Tätigkeit und dem Wohl der Personen angepasst werden. Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften können diese Abweichungen in ihren Regelungen ebenfalls vorsehen. Ob entsprechende Regelungen bestehen, ist im Einzelfall nach dem geltenden Tarifvertrag zu prüfen. Außerdem kann die zuständige Aufsichtsbehörde (dies sind in NRW die Bezirksregierungen) auf Antrag ebenfalls Ausnahmen zulassen, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden.


Fragen der Vergütung werden vom Arbeitszeitrecht nicht geregelt; dies ist den Tarifpartnern vorbehalten. Regelungen hierzu werden üblicherweise im Tarifvertrag, einer speziellen Betriebsvereinbarung oder im Einzelarbeitsvertrag getroffen.