Inhaltsbereich

KomNet-Wissensdatenbank

Kann der Gynäkologe bei Vorliegen einer Risikoschwangerschaft das Aussprechen eines Beschäftigungsverbots ablehnen?

KomNet Dialog 43431

Stand: 26.12.2020

Kategorie: Besonders schutzbedürftige Personengruppen > Werdende und stillende Mütter > Beschäftigungsverbote und -beschränkungen

Favorit

Frage:

Seit der Geltung des derzeitigen Mutterschutzgesetzes erlebe ich immer wieder, dass Gynäkologen auch bei Risikoschwangerschaften bezüglich Aussprechen eines Beschäftigungsverbots auf die Arbeitgeber/deren Betriebsärzte hinweisen (ich vermute wegen der Möglichkeit von Regressansprüchen der Krankenkassen für die Refinanzierung aus der U2-Umlage). Ganz aktuell der Fall einer Büroangestellten mit der Gefahr von vorzeitigen Wehen – der Gynäkologe weigert sich, ein Beschäftigungsverbot auszusprechen und verweist diesbezüglich auf den Arbeitgeber. Aus der Gefährdungsbeurteilung für Büroangestellte lässt sich allerdings die Notwendigkeit einer Freistellung nicht ableiten. Kann der Gynäkologe bei Vorliegen einer Risikoschwangerschaft das Aussprechen eines Beschäftigungsverbots ablehnen, ist er nicht sogar verpflichtet dazu, ein solches zu attestieren?

Antwort:

Im Rahmen des ärztlichen Beschäftigungsverbotes entscheidet die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt,

  • ob aufgrund des individuellen Gesundheitszustands der schwangeren Frau oder des Kindes eine Gefährdung durch Weiterarbeit besteht,
  • ob über die Arbeitgeberpflichten hinausgehende Beschäftigungsbeschränkungen für bestimmte Tätigkeiten notwendig sind,
  • ob bezüglich der Länge und Lage der Arbeitszeit individuelle Beschränkungen notwendig sind oder
  • ob ein Beschäftigungsverbot für jede Tätigkeit ausgesprochen werden muss.

 

Die Ärztin oder der Arzt prüft, ob es sich bei Beschwerden der schwangeren Frau um eine Krankheit handelt oder ob diese Beschwerden schwangerschaftsbedingt sind. Liegt keine Krankheit vor, aber besteht eine Gefährdung durch die Weiterarbeit, so entscheidet die Ärztin/der Arzt in eigener Verantwortung, ob bei einer Fortdauer der Beschäftigung die Gesundheit der schwangeren Frau oder die ihres Kindes gefährdet ist. Sie oder er attestiert gegenüber der schwangeren Frau ein ärztliches Beschäftigungsverbot, wenn Gefährdungen für die Gesundheit der Frau oder ihres Kindes bei einer Fortdauer der Beschäftigung gegeben sind.

 

Dabei steht der Ärztin bzw. dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zu. Eine schwangerschaftsbedingte Gesundheitsgefährdung liegt z. B. in folgenden Fällen vor

  •  Eine biologisch–medizinisch normal verlaufende Schwangerschaft nebst Entbindung stellt keine Krankheit dar. Das gilt auch für mit der Schwangerschaft regelmäßig einhergehende Beschwerden. Liegen solche Beschwerden vor, wie beispielsweise Erbrechen während der ersten drei Monate, ist von der Ärztin bzw. vom Arzt ein ärztliches Beschäftigungsverbot auszusprechen (schwangerschaftsbedingte Gesundheitsgefährdung)
  • Auch wenn über das normale Maß hinausgehende schwangerschaftsbedingte Befunde erhoben werden, wie beispielsweise Kreislauflabilität oder eine anormal verlaufende Schwangerschaft, die zu einer Leistungseinschränkung, aber nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, ist bei einer Gefährdung von Leben und Gesundheit durch Fortsetzung der Tätigkeit ein Beschäftigungsverbot auszusprechen (schwangerschaftsbedingte Gesundheitsgefährdung)
  • Liegen über das normale Maß hinausgehende schwangerschaftsbedingte Befunde vor, die unabhängig von einer Fortsetzung der Tätigkeit bereits zu einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führen, ist trotz einer Gefährdung von Leben und Gesundheit durch Fortsetzung der Tätigkeit von der Ärztin bzw. vom Arzt eine Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit)
  • Liegt neben normalen schwangerschaftsbedingten Beschwerden eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor, die mit der Schwangerschaft in keinem Zusammenhang steht, beispielsweise ein Armbruch, ist trotz einer Gefährdung von Leben und Gesundheit bei Fortsetzung der Tätigkeit von der Ärztin bzw. vom Arzt eine Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Kommt somit zu einem Beschäftigungsverbot eine Arbeitsunfähigkeit dazu, so ist diese vorrangig (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit)

 

Ein ärztliches Beschäftigungsverbot, dass bescheinigt, dass eine Arbeit ganz oder teilweise, vorübergehend ober bis zur Entbindung nicht mehr ausgeübt werden darf, kann in Deutschland von jeder approbierten Ärztin/von jedem approbierten Arzt ausgestellt werden, insbesondere jedoch von der behandelnden Fachärztin bzw. vom behandelnden Facharzt für Gynäkologie, da diese/r den Verlauf der Schwangerschaft und deren Risiken überwacht und kennt.

 

In vielen Fällen wird sich eine Unterscheidung zwischen einer Gefährdung infolge Schwangerschaft und einer Gefährdung infolge Krankheit nur schwer treffen lassen. Im Zweifel sollte ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 16 verordnet werden, beispielsweise bei Anämie, drohender Frühgeburt, Risikoschwangerschaften, Thromboseneigung, Zervixinsuffizienz, Zustand nach Aborten u. s. w.

 

Die von Ihnen geschilderte Sachlage ist auch den Aufsichtsbehörden bekannt. Diese versuchen durch Aufklärung der Gynäkologinnen und Gynäkologen dem entgegenzuwirken, indem sie z. B. die geschilderten Informationen an diese weiterleiten. Derzeit werden damit jedoch nur Lösungen für bestimmte Einzelfälle erreicht. Deshalb wurde die Problematik in Nordrhein-Westfalen bereits der obersten Aufsichtsbehörde berichtet, um eine breitere Aufklärung zu betreiben.

 

Kommentierungen zum Mutterschutzgesetz zeigen nur einen Weg auf, wenn ein Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit eines ärztlichen Beschäftigungsverbots hat. In dem Fall ist der Arbeitgeber berechtigt, von der Ärztin bzw. von dem Arzt, der das Attest ausgestellt hat, weitere Auskünfte zum Beschäftigungsverbot zu verlangen, die nicht unter die ärztliche Schweigepflicht fallen. Außerdem kann der Arbeitgeber, unter Beachtung des Rechtes der schwangeren Frau auf freie Arztwahl, eine Nachuntersuchung durch eine andere Ärztin bzw. einen anderen Arzt verlangen. Bis zur Vorlage des zweiten Attestes muss die Arbeitnehmerin entsprechend dem ursprünglichen Attest beschäftigt bzw. nicht beschäftigt werden.


Zu eventuellen Regressansprüchen, die sich aus dieser Sachlage ergeben können, kann KomNet keine Aussagen treffen. Hier sollten Angehörige der rechtsberatenden Berufe oder eine entsprechend autorisierte Stelle direkt angesprochen werden.